Pünktlich um neun Uhr sitze ich in meinem Büro
Die hübsche Sekretärin verbreitet frischen Kaffeeeduft
Ich habe die Aktentasche abgelegt und den Computer hochgefahren
Nach einem ersten Telefonat den Anrufbeantworter entlastet
Dann beginne ich zu Schreiben
Aschermittwoch,den 6.März 2019
Stahl & Gewitter GmbH oHG
Rundschreiben per Mail
Liebe Belegschaft verehrte Damen und Herren
Die Vögel heute Morgen in meinem Garten suchen Polstergräser für Ihr Nest
Der Himmel bläuend ist von falschen Kondenstreifen der Flugzeuge verschmiert
Unser Umsatzprognose ist Betriebsgeheimnis
Und wo Geheimnisse gehütet werden herrscht Angst
Der Firmensitz wird bald in ein Ausland verlagert werden
Und die Verwaltung auf den neuesten Stand der elektronischen Datenverarbeitung gebracht sein
Etliche Arbeitsplätze erübrigen sich damit
Ich bedanke mich für die bisherige jahrzehntelange Zusammenarbeit
Und werde jetzt gleich wieder Nachhause gehen und nie wieder hierherkommen
Dieser Brief an Sie kostet mich auch meine Stelle
Doch der Preis den ich hierfür zahle ist gering
Ich entrichte ihn gerne meine Würde und Selbstachtung sind unbezahlbar
Für Ihre Zukunft allen erdenkbaren Segen
Johannes Wiesentau
Prokurist a.D.
Der Ausbruch. Nicht mehr kafkaesque
Liebender Gerry
..wohl wahr erkannt
Um Franz Kafka verstehen zu können
War mir Sein „Brief an den Vater“ der Schlüssel
Ein für mich weltliterarisches Dokument einer theoretisch vollbrachten Emanzipation
Die jedoch stecken blieb in der tatwirklichen Umsetzung
Aus Angst
Aus Angst vor Strafe Verstoßung Ächtung Zorn Liebesentzug…
„Siehe der Herr Jahwe ist ein zorniger Gott“
Kafka getraute sich nicht dieses Meisterwerk Seinem „Herrn“ Vater
Hinzu kommt noch das patriarchale Jüdische Erbe verkörpernd auszuhändigen
So bat Er Seine Frau Mutter dies für Ihn zu besorgen
Jedoch Frau Mutter coabhängige Komplizin entsprach diesem Gesuch ihres Sohnes nicht
Das ist Franz Kafkas und mancher heutiger Zeitgenossen Tragik
Das Taschenbuch
„Der Verrat am Selbst – Die Angst von Mann und Frau vor Autonomie
Von Arno Grün hat mich seinerzeit sehr berührt
Dankend
Dir Joaquim von Herzen